Putins Ballerina

von Lukas Pusch

Heftige Plagiatsvorwürfe gegen Jeff Koons und sein neuestes Werk „Seated Ballerina“.
Ob gegen den US-Künstler erneut eine Klage eingebracht wird ist offen.

 

Seated Ballerina, 2017 © Jeff Koons / Photo: Tom Powel Imaging

Jeff Koons „Seated Ballerina“ vor dem Rockefeller Center in New York.
Seated Ballerina, 2017 © Jeff Koons / Photo: Tom Powel Imaging

Jeff Koons gehört zu den wichtigsten und teuersten US-Künstlern der Gegenwart. Sein jüngstes Werk „Seated Ballerina“ ist die neue Attraktion in New York. Die 14 Meter hohe aufblasbare Skulptur vor dem Rockefeller Center ist nicht zu übersehen. Fotos des neuen Kunstwahrzeichens gingen durch die Weltpresse. Ausgangspunkt für Koons Ballerina war eine „kleine gefundene Porzellanfigur“. Koons: „Die auf einem Hocker sitzende und nach vorne gebeugte Ballerina symbolisiert Ideen von Schönheit und Verbundenheit. Ihre reflektierende Oberfläche spiegelt ihre unmittelbare Umwelt und beschäftigt sich mit jedem Betrachter.“

Jeff Koons will, laut Pressemitteilung, mit der Ballerina-Installation auf den Monat der vermissten Kinder aufmerksam machen. Organisationen wie das International Centre for Missing & Exploited Children sollen mit der imposanten Skulptur in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt werden.

Weniger karitativ, eröffnete Jeff Koons zeitgleich eine Soloshow bei Gagosian in Beverly Hills, bei der eine über zwei Meter große Version der aufgeblasenen Vermisste-Kinder-Ballerina aus poliertem Edelstahl zum Kauf angeboten wird. Der Preis für derartige Skulpturen bewegt sich bei Koons im zweistelligen Millionenbereich. An der 2016 fertig gestellten Edelstahlskulptur arbeitete Koons sechs Jahre. Sie gehört zu seinem „Antiquity“ Zyklus.

Bereits 2015 ließ er zusätzlich eine Serie von fünfzig bemalten Holzskulpturen plus zehn Künstlerexemplare der Figur produzieren. Eine der rund 45cm großen Holz-Ballerinas wurde im März um 52 500 Pfund bei Sotheby’s in London versteigert.

Der georgische Künstler Lado Pochkhua war einer der ersten der Jeff Koons „Seated Ballerina“ kritisierte

Jeff Koons dürfte sich mit der „gefundenen Porzellanfigur“ also schon länger beschäftigen. Umso bemerkenswerter ist es daher, wie wenig wir von Jeff Koons über die „kleine gefundene Porzellanfigur“ erfahren, die er angeblich zur „Jahrtausenwende“ in einer „russischen Fabrik fand“. Denn diese rund 20 cm große Figur, die Koons mehr oder weniger 1:1 lediglich in eine andere Größe und ein anderes Material transferierte, ist nicht irgendeine Porzellanfigur. Es handelt sich dabei um die Arbeit „Балерина Леночка“ (Ballerina Lenotschka) der sowjetischen Bildhauerin Oksana Leontevna Schnikrup. Die Künstlerin, 1931 im sibirischen Tschita geboren, studierte nach dem Krieg auf der renommierten Grekov Kunstschule in Odessa Bildhauerei. Aus der Grekov Kunstschule kamen berühmte Künstler wie Wassily Kandinsky oder Leonid Pasternak, Vater des Schriftstellers von Boris Pasternak. Beim Studium lernte Oksana Schnikrup auch ihren späteren Ehemann Wladislaw Iwanowitsch Shcherbina kennen. Shcherbina war ebenfalls ein in allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion bekannter Bildhauer, der bis ins hohe Alter künstlerisch aktiv blieb.

Nach dem Studium begannen beide für die Kievskij eksperimentalnyj keramiko-chudoschestwennyj sawod – KEKCHS zu arbeiten. Die 1924 gegründete und 2006 geschlossene Fabrik war, bis zur späteren Unabhängigkeit der Ukraine, ein Flaggschiff der sowjetischen Porzellan Manufaktur. Werke Oksana Schnikrups und auch ihres Mannes finden sich heute in zahlreichen staatlichen Museen und privaten Sammlungen. Sowjetisches Porzellan, vor allem aus der Vorkriegszeit, erzielt mittlerweile Spitzenpreise bei internationalen Auktionen.

Die 1973 entstandene Arbeit „Ballerina Lenotschka“ von Oksana Schnikrup wurde, wie damals üblich, in sehr hoher Stückzahl produziert. Sie wird bei russischen Internetauktionen und in Antiquariaten, je nach Zustand, um Preise zwischen 4000 und 10 000 Rubel (80 bis 200 Euro) gehandelt.

In ukrainischen Medien werden bereits offen Plagiatsvorwürfe erhoben.

Als Jeff Koons zur Jahrtausendwende die „kleine Porzellanfigur in einer russischen Fabrik findet“ wird der Chef des russischen Inlandgeheimdienstes Wladimir Putin neuer Chef im Kreml. Ob sich Putin und Koons damals in Russland begegneten, ist nicht bekannt. Putins Vorgänger im Präsidentenamt, Boris Jelzin, konnte seine letzte Wahl nur dank gigantischer finanzieller und medialer Unterstützung aus dem Ausland gewinnen.

Heute stehen die Vorzeichen anders. Heute werden Wladimir Putin und sein russischer Geheimdienst beschuldigt, hinter den Hackerangriffen auf die Mail-Server der Demokraten zu stehen, um so massiven Einfluss auf den Ausgang des US-Wahlkampfs ausgeübt zu haben.

US-Präsidenten Donald Trump war angetreten, um die Beziehungen mit Russland zu verbessern. Vielen in den USA ging und geht diese Annäherung jedoch zu weit und Donald Trump droht seit kurzem ein Amtsenthebungsverfahren wegen angeblichen Geheimnisverrats und Behinderung von unabhängigen FBI-Ermittlungen.

Donald Trump ist erklärtermaßen kein Anhänger zeitgenössischer Kunst. Umgekehrt ließ Jeff Koons im Rennen um das Präsidentenamt keinen Zweifel an seiner Vorliebe für Hillary Clinton. Trotzdem diagnostiziert der deutsche Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich im eine Art von Wahlverwandtschaft.

Die Schriftstellerin Joyce Carol Oates twitterte im Wahlkampf, „Donald Trump is the Jeff Koons of US politics“, und stellte gleichzeitig die Frage, ob Koons nicht genauso der Trump des US-Kunstbetriebs sei. Der für den Guardian schreibende Kunstkritiker Jonathan Jones sieht in Trump und Koons parallele Phänomene, die viel dazu beigetragen hätten, den guten Geschmack und jegliches Feingefühl zu zerstören („to destroy taste, sensitivity“). Trump wie Koons wären die Gegenthese zur Behauptung, dass es für finanziellen Erfolg irgendein Talent brauche.

Zeitgleich mit der Enthüllung von Jeff Koons „Seated Ballerina“ wird auf der Internetplattform Breitbart der Artikel unter dem Titel „Wie die Linke und die US – Regierung Amerikas Kunst korrumpierte“ veröffentlicht. In dem tendenziös geschriebenen Text geht es um bewusste CIA Strategien nach 45, als Kunst zur Propagandawaffe im Kalten Krieg und zum ideologischen Spielball der Supermächte wurde. „Painting and sculpture was transformed by a radical shift in style. Traditionalism and aestheticism disappeared, replaced by abstract expressionism and postmodernity. But this didn’t happen by accident, or even organically: it was, at least in part, the deliberate product of social engineering.“ Worte, die jeder sowjetische Kulturfunktionär in seinem Kampf gegen “Загнивающий запад” den „Verrotteten Westen“ nicht besser hätte formulieren können. Eigentümer von Breitbart ist der Wahlkampfstratege, enge Berater und Vertraute Donald Trumps, Stephen Bannon.

Der Künstler Oleksandr Roytdurd freut sich über die Popularisierung ukrainischer Kunst. Andere Kommentatoren meinen, nicht ganz zu unrecht, Oksana Schnikrup sei eine sowjetische Künstlerin gewesen.

Der Künstler Oleksandr Roytdurd freut sich über die Popularisierung ukrainischer Kunst. Andere Kommentatoren meinen, nicht ganz zu unrecht, Oksana Schnikrup sei eine sowjetische Künstlerin gewesen.

Wie Trump, gilt auch Putin nicht als großer Freund von Gegenwartskunst. In der Bevölkerung der Länder der ehemaligen Sowjetunion gehören die 70iger Jahre unter Leonid Breschnew bis heute, zum beliebtesten Abschnitt in der Geschichte des von zahlreichen Kriegen und Krisen gebeutelten Russland.

Wladimir Putin bezeichnete den Zerfall der Sowjetunion 1991 als „die größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts. Die 70iger Jahre unter Breschnew standen für dessen Gegenteil.

Die 1973 entstandene Arbeit „Ballerina Lenotschka“ von Oksana Schnikrup kann auch als so etwas wie der in Porzellan gegossene Ausdruck dieser russisch-sowjetischen Sehnsucht nach Behaglichkeit gesehen werden. Sozialistischer Realismus für das Wohnzimmer des Proletariats am Zenit seines Wirkens. Die einstigen Parteikader und KGB-Funktionäre sind heute stinkreichen Oligarchen gewichen. Sowjetisches Porzellan wir heute in Chromstahl poliert. Wo einst der Abstrakte Expressionismus als Symbol der Freiheit in die Welt getragen wurde, wird heute eine Kleinplastik des Sozialistischen Realismus vor dem Rockefeller Center in New York aufgeblasen. Alle jubeln und keiner bemerkt es.

Was Oksana Leontevna Schnikrup zu all dem gesagt hätte, wissen wir nicht. Sie starb, kurz nach dem Ende der Sowjetunion, 1993 in Kiew. Auf jeden Fall hätte sie es verdient, namentlich erwähnt zu werden. Aber so ist das heute in der Kunst wie in der Gesellschaft. Wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Unruhige Zeiten, ob mit oder ohne Putins Ballerina.