von Lukas Pusch
Am 28. September luden die Oppositionsparteien SPÖ, NEOS und Liste Pilz zu einer außerordentlichen parlamentarischen Sitzung des Kulturausschusses. Zuvor kritisierten ihre Kultursprecher Thomas Drozda, Sepp Schellhorn und Wolfgang Zinggl in einer gemeinsamen Pressekonferenz den „kulturpolitischen Stillstand und den Umstand, dass bisher noch kein einziger der 48 Regierungsprogrammpunkte zu Kunst und Kultur vollständig umgesetzt wurde“. Die aktuelle ÖVP/FPÖ-Regierung habe offenbar „kein Interesse an Kunst und Kultur“. Dies zeige sich auch im „Boykott des parlamentarischen Kulturausschusses“ durch Kulturminister Blümel und die Abgeordneten der Regierungsfraktion.
Fachausschüsse des Parlaments, zu denen auch der Kulturausschuss zählt, sind wichtige Instrumentarien der parlamentarischen Arbeit und Demokratie. Sie sollen sicherstellen, dass fachkundige Abgeordnete im kleinen Kreis über Sachfragen diskutieren können. Dadurch können z.B. Gesetzesvorlagen, bereits bevor sie im Nationalrat beschlossen werden sollen, von den Ausschussmitgliedern der jeweiligen Fraktionen in einer sachlichen Atmosphäre auf inhaltliche und formale Schwächen überprüft werden.
Zu den Beratungen können auch außenstehende Experten und Expertinnen eingeladen werden. Bei dem gestrigen Kulturausschuss wurden daher Ex-MUMOK Direktor Edelbert Köb, die UNESCO-Generalsekretärin Gabriele Eschig als auch ich um eine kurze Expertise zu unterschiedlichen Themenbereichen gebeten. Mein Gebiet war die dringend zu reformierende Kunst- und Kulturförderung. Ich begann meinen Vortrag mit einem hochaktuellen Zitat:
„Genug der Zensur. Ich greife zur Selbsthilfe. Ich will loskommen. Ich will aus allen diesen meine Arbeit aufhaltenden Lächerlichkeiten zur Freiheit zurück. Ich lehne jede staatliche Hilfe ab, ich verzichte auf alles. […] Die Hauptsache ist, ich will Front machen gegen die Art, wie im österreichischen Staate, wie im Unterrichtsministerium Kunstangelegenheiten behandelt und erledigt werden. Es geht bei jeder Gelegenheit gegen echte Kunst und gegen echte Künstler los. Protegiert wird immer nur das Schwache, das Falsche.“
Dann fragte ich die Parlamentsabgeordneten, ob sie wüssten, von wem und von wann dieses Zitat sei. Es folgte lustiges Rätselraten. Namen wollte keiner nennen. Die Kunstaffinen tippten auf die späten 1980er Jahre, andere meinten, nein, dies müsse jüngeren Datums sein und für die politisch Korrekten unter den anwesenden Mitgliedern der Kulturkommission war klar, dass dies ein aktuelles Statement zur Schwarz/Blauen Regierung sei.
Als ich meinte, dass dieses Zitat von Gustav Klimt aus dem Jahre 1905 stammte, war die Verblüffung groß. An der kunstfeindlichen österreichischen Kulturpolitik hat sich, bis auf die Binnen-I Schreibung, wenig verändert. Klimts Forderungen sind heute so aktuell und unerfüllt wie vor 113 Jahren. Erst als sich Klimt von der staatlichen Alimentierung lossagte, wurde er der Klimt, den wir heute kennen und bewundern. Klimt schuf seine genialsten Meisterwerke nicht durch den Staat, sondern maximal trotz und vor allem gegen den Staat.
Dasselbe gilt für die wichtigste österreichische Kunstströmung nach 1945 – den Wiener Aktionismus. Der Wiener Aktionismus wurde zu seiner Zeit nicht nur nicht gefördert, sondern im Gegenteil polizeilich und strafrechtlich verfolgt. Erst durch die Initiativen von Museumsdirektoren wie Edelbert Köb oder Peter Noever fanden die Werke des Wiener Aktionismus, Jahrzehnte nach ihrem Entstehen, Einzug in die wichtigen Museen des Landes. Davor verdankten die Wiener Aktionisten ihr Überleben einzig und allein dem Engagement von Nonkonformisten wie dem Kunsthändler und Galeristen Kurt Kalb, der für eine Ausstellung des Wiener Aktionismus sogar verhaftet und zu einem Monat schweren Kerker verurteilt wurde. Oder dem deutschen Verleger und Buchhändler Walther König, der dem in Österreich per Haftbefehl gesuchten Günter Brus, privaten Unterschlupf gewährte und ihn und seine Familie mit einem monatlichen Taschengeld von 1000 D-Mark vor der völligen Verelendung rettete.
Weder Kurt Kalb noch Walther König, geschweige denn die Wiener Aktionisten wären auf die Idee gekommen, einen Förderantrag zu stellen. Sie waren überzeugt von der künstlerischen Qualität des Werks. Die einzig sinnvolle Kunstförderung des Staates kann nur in der Förderung dieses privaten Engagements bestehen. Dieses private Engagement unterstützt man durch sehr einfache Maßnahmen wie einer Reduktion der Mehrwertsteuer oder der steuerlichen Absetzbarkeit von Kunst. Die bisherige Förderpolitik bestand in der schlichten Erhöhung oder Kürzung der jeweiligen Subventionstöpfe, der Ausgestaltung von Förderanträgen (aktuell beträgt ein Förderantrag des Bundes acht DIN A4 Seiten) und der Besetzung irgendwelcher Kommissionen. Dies führte aber lediglich zu einer Förderung der Bürokratie und einer lähmenden, ängstlichen Stille im Kunstbetrieb selbst. Aber es geht auch anders. Die schlichte Tatsache, dass Österreich die Mehrwertsteuer auf Kunst weniger stark erhöhte als Deutschland, führte dazu, dass in den letzten zwei Jahren namhafte Berliner Galerien Zweigstellen in Wien eröffneten oder sich zur Gänze hier ansiedelten. Dieser – nicht geplante – Nebeneffekt einer einzigen steuerlichen Maßnahme war eine bessere Förderung des Kunst- und Kulturstandortes Österreich als sämtliche Subventionsprogramme der letzten Jahre.
Kulturminister Blümel geht häufig zu Vernissagen, besucht Theaterfestivals oder philosophiert im Fernsehen über Bruegels Turmbau zu Babel.
Das ist erfreulich, aber verändert nichts.
Die Kritik von Gustav Klimt ist heute noch genauso aktuell wie vor 113 Jahren.
Geht es wieder nur um das parteipolitische Um- bzw. Einfärben verschiedener Institutionen und das Verschieben von Fördergeldern aus einem Topf in den anderen? Oder will man eine grundlegende Reform der Kunstförderung, in der die Kunst und nicht die Kunstbürokratie im Mittelpunkt aller Überlegungen steht?
Der Kulturausschuss des Nationalrats wäre der Ort, an dem über alle Parteigrenzen hinweg und unter Einbeziehung von außenstehenden Experten, eine tragfähige und nachhaltige kulturpolitische Weichenstellung diskutiert werden könnte.
Die Arbeitsverweigerung stimmt nachdenklich.
Sagt mir, wo der Blümel blüht.
Wo ist er geblieben?