Marten Frerichs
Ein Vorwort von Lukas Pusch
Sag ein paar Worte, irgendetwas, Marten hat sich gerade an dich erinnert“, bat mich Eva mit hektischer Stimme am Telefon. Ich wusste nicht, worum es ging. Wir hatten länger nichts von einander gehört. Ich war zwei Jahre zuvor von Berlin zurück nach Wien gezogen. Auf der anderen Seite der Leitung hörte ich nur noch irgendwelche schwer verständliche Laute. Es war Marten. Ich versuchte, mit ihm zu reden. Sagte ihm, dass ich mich freue, ihn zu hören, sprach über die alten Zeiten in Dresden und Berlin. Nach wenigen Minuten übernahm Eva wieder den Hörer. Marten war zu erschöpft, um weiter zu telefonieren.
Eva erzählte mir, dass Marten einen Fahrradunfall gehabt hatte. Was genau passiert war, wisse man nicht. Marten hat keine Erinnerung, lag Monate mit schwersten Verletzungen im Koma. Es war nicht klar, ob er überleben würde. Jetzt, sehr langsam, kehrte sein Gedächtnis zurück. Er müsse aber wieder gehen, sprechen und essen lernen. Ob und wie vollständig das gelänge, könnten die Ärzte nicht sagen. Er mache zwar Fortschritte, aber niemand wisse, wie groß sie sein würden. Marten jobbte vor dem Unfall zwischendurch als Fahrradbote. Seine Karriere als Künstler und Maler hatte gerade erst begonnen.
Jetzt war alles aus. Marten hatte weder eine Krankenversicherung, noch Unterstützung seiner Eltern. Seine einzige Hilfe war Eva, seine Freundin, von der er sich kurz vor dem Unfall getrennt hatte.
Beim Malereistudium in Dresden galten die beiden als Power couple. Um die Zukunft der zwei musste man sich keine Sorgen machen. Sie gehörten zu den talentiertesten Absolventen unseres Jahrgangs. Mit derselben Zielstrebigkeit, mit der sie früher an ihrem Werk gearbeitet hatten, wurde jetzt an Martens Genesung gearbeitet.
Das ist jetzt 15 Jahre her. Heute kann Marten wieder reden und, wenn auch manchmal mit Hilfe, wieder gehen. Aber seine motorischen Fähigkeiten blieben eingeschränkt. Vor ein paar Jahren entdeckte Marten auch wieder die Kunst. Er begann, per E-Mail Bild-Text-Collagen an Freunde zu verschicken. In diesen Collagen blitzt der alte Marten mit seinem bissigen und scharfsinnigen Humor wieder auf.
Diese Ausgabe des ANTIST beinhaltet eine kleine Auswahl dieser Arbeiten. Die Veröffentlichung fällt in das 2. Corona-Jahr. In Wien erleben wir aktuell den 4. Lockdown, ein 5. wird vorbereitet. Es sind harte Zeiten. Harte Zeiten, in denen wir von Marten Frerichs lernen können. Lernen, dass man nicht aufgibt, auch wenn man am Boden liegt. Einfach weitermachen. Sich Freiräume schaffen, auch wenn sie klein sind und der eigene Bewegungsradius begrenzt ist. Humor bewahren.
Corona bleibt, das Leben geht weiter.