Die Polarisierung der Idiotie

von Lukas Pusch

Martin Humer war seiner Zeit voraus. Er war der einsame Vorreiter im Kampf gegen sexistische Kunst alter weißer Männer in Österreich. Der als Pornojäger bekannte, erzkonservative und reaktionäre Prophet wurde dafür zu Lebzeiten (völlig zu Recht) in den Medien verhöhnt und von der Gesellschaft belächelt. Seine spektakulären Aktionen gegen Künstler wie Nitsch, Mühl oder Lüpertz sorgten regelmäßig für Schlagzeilen, hatten aber meist keine weiteren Konsequenzen. Heute ist das anders.

Heute genügt es, wenn eine grüne Berufspolitikerin wie Faika El-Nagashi eine vom Künstler Christian Ludwig Attersee gemalte, nackte Skifahrerin auf einem ÖSV-Plakat despektierlich und „sexistisch“ findet um dieses, begleitet von medialem Beifall und allgemeiner Entrüstung, innerhalb weniger Tage einstampfen zu lassen. Dass Attersee Skifahrer auf Plakaten für Herrenrennen genauso nackt malt, wird dabei ausgeblendet.
Die heutigen Pornojäger sind nicht mehr mit Teer, Farbe und Federn unterwegs sondern in den sozialen Medien. Sie singen nicht mehr „Ave Maria“ sondern schreien „Sexismus“. Das ist effektiver.
Dabei darf nicht vergessen werden, Martin Humer war isoliert, aber nicht allein. Schon in den 1970er-Jahren hatte er ideologische Rückendeckung. Auch Feministinnen protestierten damals heftig gegen die Legalisierung von Pornographie. Eine der Wortführerinnen der bigotten Frauen war Alice Schwarzer mit ihrem prüden Zentralorgan Emma. Deren Protest gipfelte in den 1980er-Jahren in einer eigenen PornNO-Kampagne bei der, erfolglos, ein Verbot von Pornographie gefordert wurde.
Mikl-Leitner und Attersee

Die Landeshauptfrau auf Facebook, ein paar Tage später wurde das Plakat eingestampft…

Als Jörg Haider 1995 mit Plakaten gegen Künstler und sozialdemokratische Kulturpolitiker wetterte, gab es einen medialen Aufschrei. Heute, 20 Jahre später, postet die Redakteurin des TV-Senders Puls4, Corinna Milborn, lediglich:„Danke Faika El-Nagashi“, teilt die Statusmeldung der grünen Abgeordneten auf ihrer Facebook-Seite und gibt der Politkampagne damit erst richtig Legitimation und Breitenwirkung. 
In den 1980er-Jahren drohten die Freiheitlichen aus dem Nationalrat zu fliegen. Durch den scharfen Kurswechsel unter Jörg Haider konnte das verhindert werden. Im November 2017 schafften die Grünen die Kurve nicht und verfehlten den Einzug in den Nationalrat. Auch bei den kommenden Wahlen in Wien drohen ihnen herbe Verluste. Warum also nicht Erfolgsrezepte und Feindbilder des politischen Gegners kopieren, wenn es das eigene politische Überleben sichert und Ressentiments der eigenen Klientel bedient? 
„Das hat mit Kunst nichts zu tun,“ geifern Die Grünen Frauen Wien über das Attersee Gemälde auf ihrer Facebook-Seite. „Das ist einfach nur voll daneben, ignorant, unangebracht und s e x i s t i s c h!“ Jörg Haider und sein Redenschreiber Kickl hätten es für die entsprechende Wählerschicht nicht besser formulieren können.
Wie einst Haider von der Kronen Zeitung, bekommen heute auch die Grünen zielgruppengrechte, mediale Schützenhilfe – von der Tageszeitung Der Standard. Abstrahiert gemalte Nacktheit wird dort zur „gruseligen Männerfantasie“ hochstilisiert. Es werden seitenweise Bilder von nackten Attersee-Skifahrerinnen ins Netz gestellt (Der Künstler spendete dem ÖSV – welch ein Verbrechen – seit 20 Jahren zahlreiche von ihm gestaltete Plakate zu verschiedenen Wettbewerben). Die von Attersee nicht anders gemalten Nackt-Skifahrer zeigt man nicht.
Und Puls4-Redakteurin Milborn weiß: „Skirennläuferinnen sind extrem mutig. Durchtrainiert bis an die Grenze. Konzentriert. Kämpferinnen mit Biss und Willen zum Sieg.“ Und – „sie sind badass, Champions, kühn und verwegen,“ ergänzt Frau El-Nagashi, vor allem aber sind sie nicht – Achtung: weil besonders shocking – „lasziv“!  Das Geschreibsel der grünen Feministinnen liest sich wie eine Lobhudelei zu Leni Riefenstahls NS-Propagandaschinken Olympia. Die Postings werden trotzdem oder gerade deswegen hunderte Male geteilt, gelikt und unhinterfragt übernommen.
Dass Attersee Skifahrer für Herrenrennen genauso nackt malt, wird ausgeblendet.

Die nackten, skifahrenden Männer, wurden von den Attersee-Kritikern ausgeblendet…

 

Als erste Kritik an den bigotten Moralistinnen geübt wird, machen sie einen Schritt zurück, erklären: es ginge nicht um die zuvor so lautstark verteufelte Kunst, sondern um die offenen Missbrauchsvorwürfe im ÖSV. Nun stimmt zwar, dass der ÖSV völlig unfähig war, mit den Vorwürfen umzugehen, warum aber dann nicht gleich den ÖSV kritisieren? Auch das ist eine Strategie, die Jörg Haider bis zur Perfektion beherrschte: Über das Ziel hinausschießen, dabei die eigene Kernwählerschicht zufrieden stellen, Aufregung und Aufmerksamkeit erzeugen um dann – halbherzig – zurückzurudern. Jörg Haider konnte so die Regierung jahrelang vor sich hertreiben. Er schreibt selber, dass er „überrascht war“, dass „die Regierung in der Ausländerfrage immer wesentlich mehr beschloss, als die FPÖ forderte“.
Aber auch die grüne Moralaktivistin El-Nagashi kann zufrieden sein. Innerhalb weniger Tage wurde das ÖSV-Werbeplakat eingestampft, die dazugehörige Kunstedition eingezogen und ein Kunstdruck des Bildes aus der ORF-Versteigerung für Licht ins Dunkel geworfen. Der ÖSV musste sich entschuldigen, der Künstler eine knieweiche Erklärung abgeben und die niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner, die das Plakat noch kurz zuvor voll Stolz präsentierte hatte, stand plötzlich als Sexistin da. Bravo, besser kann man die eigene grüne Kernwählerschicht nicht bedienen. 
Wie lächerlich und aufgesetzt diese von Politfunktionärin El-Nagashi initiierte Aufregung um das Attersee-Plakat war, sieht man, wenn es um Kritik an Kulturveranstaltungen der Grünen selbst geht. Kommt Sexismus und sogar Gewalt gegen Frauen mit dem richtigen ideologischen Mascherl daher, wird das verteidigt.
Als der Antist, als einziges Medium in Österreich, sich traute, ein ungustiöses Subventionsgeflecht zwischen der Künstlergewerkschaft IG Bildende Kunst, verschiedenen grünen Kulturinitiativen und dem von den Grünen unterstützen Kulturfestival Wienwoche zu thematisieren, wurden die Subventionsseilschaften von der grünen Politfunktionärin El-Nagashi wortreich im Wiener Landtag verteidigt. Zur Erinnerung: Der Antist kritisierte damals den schäbigen Umgang der IG Bildenden Kunst mit der von Zensur betroffenen Künstlerin Ines Doujak. Anstelle Ines Doujak zu verteidigen, veröffentlichte die Künstlergewerkschaft das Plakat einer grünen Kulturfunktionärin, auf dem die Zensur befürwortet und Ines Doujak unter dem Titel „Contra el Rassismo“ vergewaltigt, geschlagen und sexuell erniedrigt wird! Diese offen sexistische Arbeit wurde später prominent, in einer großen, von der mit 500 000 Euro subventionierten grünen Wienwoche, organisierten Museumsschau ausgestellt. Sexistisch ist für Frau El-Nagashi offenbar nur, was nicht nach grünem Parteibuch riecht. 
Das ist auch der Grund, warum Politiker wie El-Nagashi für mehr direkte staatliche Kunstsubventionen eintreten. Es bedeutet schlicht und einfach mehr direkte parteipolitische Macht und Kontrolle für sie. Kunst ist für El-Nagashi nichts anderes als ein verlängerter Spielball der Parteipolitik. Nicht die Gesellschaft, nicht die Künstler selbst sollen entscheiden, welche Kunst gemacht, welche Inhalte gezeigt oder aufgeführt werden, sondern der parteipolitisch abhängige Kulturfunktionär. 
Und genauso verhält es sich beim Sexismus-Bashing der Grünen. Sexismus wird dann kritisiert, wenn es der Partei etwas bringt. Das war in der Causa Pilz nicht anders als im Fall Attersee. Beim einen hat man aus parteitaktischen Gründen jahrelang geschwiegen, beim anderen aus parteitaktischen Gründen sofort und rücksichtslos losgedroschen, – nicht auszudenken, hätte Attersee nackte, einarmige BanditInnen für den Glückspielkonzern Novomatic gemalt!
Michelangel Sixtinische Kapelle Die Erschaffung Adams Foto: Jörg Bittner Unna [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], from Wikimedia Commons

Die katholische Kirche ließ die Aktdarstellungen Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle übermalen, da diese als „amoralisch und obszön“ galten…                         Foto: Jörg Bittner Unna [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], from Wikimedia Commons

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann meinte, dass die Debatte um das ÖSV-Plakat von Attersee völlig lächerlich sei und sich daher jeglicher Kommentar erübrigt. Das stimmt, aber es stimmt auch nicht, da diese lächerlichen Debatten mittlerweile das gesamte kulturelle Leben verpesten. 
Wer glaubt, mit Prüderie und Riefenstahl-Ästhetik gegen sexuellen Missbrauch im ÖSV oder sonst wo anzukommen, ist auf dem Holzweg.
Die katholische Kirche ließ die Aktdarstellungen Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle übermalen, da diese als „amoralisch und obszön“ galten. Gleichzeitig gibt es kaum eine andere Organisation, in der so systematisch und über einen so langen Zeitraum tausende Buben, Mädchen, Frauen und Männer sexuell missbraucht und vergewaltigt wurden. Über Jahrhunderte wurde darüber geschwiegen.
Die lächerlichen Übermalungen (die letzten stammten aus dem 19. Jahrhundert), wurden erst in den 1980er und 1990er-Jahren wieder entfernt. Es ist kein Zufall, dass sich, fast zeitgleich, im Geist dieser allgemeinen gesellschaftlichen Liberalisierung auch die ersten Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche meldeten und an die Öffentlichkeit gingen.
Es gibt heute keine klaren Fronten mehr, kein Gut und kein Böse, kein Sozialismus gegen Kapitalismus, Ost und West. Die Welt ist heterogener geworden. Es gibt keine klaren Bündnispartner und Gegner. Freunde in der einen Frage sind Feinde in der anderen. Wir erleben eine Polarisierung der Idiotie. Die dümmsten politischen Kräfte und Ideen beginnen zusehends das gesellschaftliche Leben zu dominieren.
Als Antwort können wir nur Felder, die uns wichtig sind, abstecken und verteidigen. Felder, in denen wir leben und arbeiten. In unserem Fall ist dieses Feld die Kunst und ihre Freiheit. Die einzige zu akzeptierende Grenze dieser Freiheit ist das Strafrecht. Alle, die diese Freiheit zusätzlich einschränken wollen, sind Feinde. El-Nagashi ist da nur das grüne Pendant zum blauen Waldhäusl. Freunde der Kunst und ihrer Freiheit sehen anders aus.