Wer die Kunst liebt, muss den Staat hassen.

von Lukas Pusch

Österreich ist anders. Österreich kennt keine Revolutionen. Österreich ist ein Beamten- und Funktionärsstaat. Das österreichische Synonym für Freiheit ist Pragmatisierung. Eins werden mit dem Staat wie einst Gott, Kaiser und Vaterland – das ist österreichische Glückseligkeit. Leistung zählt nicht. Kreativität ist verdächtig. In Österreich wird vererbt. Die Bildung genauso wie das Haus, die soziale Stellung oder die Wohnung im Gemeindebau. Das Credo aller relevanten politischen Parteien und Bewegungen ist die Staatstreue. Opposition – von links bis rechts – reduziert sich in Österreich auf den Ruf nach mehr Polizei, Staat und Überwachung. Sonst nichts.

Österreich ist das einzige Land, in dem die Nachkriegspläne Stalins verwirklicht wurden. Die bessere DDR. Grenzschutz in Rot-Weiß-Rot. Ausländerhetze ist hier Volksmusik. Die subventionsabhängige Presse stellt den medialen Begleitschutz. Berichterstattung im Dienst eines verrotteten politischen Systems. Kulturpolitisch herrscht Harmonie. Niemand, der einen radikalen Schnitt und eine Streichung staatlicher Kulturförderung zugunsten privater Absetzbarkeit von Kunst fordern würde. Lieber wird die Mehrwertsteuer erhöht, eine Registrierkassenpflicht eingeführt oder werden irgendwelche Festplattenabgaben beschlossen. Keine gesellschaftliche Kraft, die sich auch nur ansatzweise die Frage nach einer grundsätzlichen Ausrichtung der Kulturpolitik stellen würde. Die Konsequenzen dieser Subventionspolitik sind fatal. Es beginnt an den Akademien. Spießiger antiakademischer Akademismus und institutionalisierte Institutionskritik erwürgen jeden kritischen Geist. In Seminaren wird gelehrt, wie man erfolgreich Subventionsanträge stellt. Sinkende Bewerberzahlen bei den Aufnahmeprüfungen stehen einer steigenden Zahl von Aufnahmen gegenüber. Überflüssige und aufgeblähte Verwaltungsapparate versuchen sich mit steigenden Studentenzahlen zu legitimieren. Noch nie war es so leicht, an einer Kunstakademie aufgenommen zu werden, wie heute. Doch das einzige organische Wachstum erfolgt in dem sich selbst reproduzierenden bürokratischen Filz. Bürokratischer Filz eines geschlossenen, repressiven Systems – zusammengehalten mit dem Kitt staatlicher und halbstaatlicher Subventionen.

„Jeder Mensch ist ein Künstler“ degeneriert zur Rechtfertigungsstrategie der Administration. Die öffentliche Hand ist die mit Abstand größte Kunstfinanziererin in Österreich. Das ist erbärmlich. Hunderttausende besuchen jährlich Museen und Ausstellungen. Es gibt eine große kunst- und kulturinteressierte Bevölkerungsschicht. Aber Kaufinteresse zu wecken gilt unter den meisten österreichischen Galeristen als mühsam. Der österreichische Galerist interessiert sich in der Regel weder für die breite Öffentlichkeit noch für die80 000 Millionäre im Land. Lieber bleibt man unter sich, besetzt Kommissionen und Beiräte und verteilt fremdes Geld. Man kennt einander und spricht nicht darüber.

Museumskuratoren, Kunstprofessoren und deren Assistenten, Journalisten, Künstler und Galeristen verteilen Subventionen an Museumskuratoren, Kunstprofessoren und deren Assistenten, Journalisten, Künstler und Galeristen. Zielpublikum dieser Kunst sind Kunst- und Kulturbeamte und nicht selten in prekären Verhältnissen lebende Absolventen irgendwelcher Medien-, Publizistik- oder Kunsthochschulen, die in subventionierten Medien ihre mit staatlich alimentierten Galeristen akkordierten Kunstkritiken verfassen. Öffentlichkeit stört, Verkauf gilt als Sünde. Eine subtile Fortführung von christlichem Antisemitismus, der Handel und Profit als jüdisch verteufelte. Trotzdem stellte

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O.T. (Franz Joseph) aus der Serie Kaiserwalzer, Lukas Pusch 2008

gerade der Handel mit arisierter Raubkunst für nicht wenige österreichische Galerien bis in die späten 1970er-Jahre ein wichtiges wirtschaftliches Standbein dar. Der durchschnittliche österreichische Galerist ist heute zwischen 60 und 70, Rentner. Es gibt kaum junge Galeristen. Für einen jungen Galeristen ist es fast nicht möglich, diesen jahrzehntelangen, durch kontinuierliche Subventionierung ermöglichten Vorsprung zu durchbrechen. Resultat ist eine universelle Austauschbarkeit und Beliebigkeit der jeweiligen Galerienprogramme und der mit ihnen verwobenen staatlichen Museen und Ausstellungshäuser.

 

Die ökonomische Bilanz dieser Subventionspolitik ist ein Desaster. Der Preis, den man für österreichische Spitzenwerke der Nachkriegsmoderne erzielen kann, liegt bei einem Bruchteil dessen, was vergleichbare Werke deutscher oder Schweizer Künstler kosten. Auf der wichtigsten Kunstmesse der Welt, der Art Basel, wird der meiste Umsatz mit Werken ab 100 000 Euro gemacht. Um 100 000 Euro kauft man in Österreich Museumsware, in Deutschland oder der Schweiz das nationale Mittelfeld. Das bedeutet einen großen Wettbewerbsnachteil für zeitgenössische österreichische Künstler, da der internationale Markt letztlich von den nationalen Märkten bestimmt wird. Der durchschnittliche österreichische Galerist ist kein Unternehmer. Er gleicht einem Beamten, der das Wohlwollen seiner Kollegen im Ministerium oder in den Kulturreferaten der Länder sucht. Er verdankt seine Stellung, auch international, nicht seiner galeristischen Tätigkeit als vielmehr seinem Geschick im Umgang mit den beamteten Verwaltern staatlicher Geldtöpfe.  Der Aufbau und Verkauf neuer künstlerischer Positionen, die Aufbereitung eines lokalen österreichischen Kunstmarktes, der auch internationale Bedeutung erlangt, sind ihm fremd. Selbst die Teilnahme an internationalen Kunstmessen wird staatlich gefördert. 50 Prozent der Standkosten übernimmt der Steuerzahler, vor nicht allzu langer Zeit waren es sogar 100. Als Vorbild diente die österreichische Butter. Diese war, dank kräftiger staatlicher Unterstützung, im Ausland billiger als daheim. Österreichische Galerien sind auf internationalen Kunstmessen tendenziell unbeliebt. Viele gelten als gewerbsmäßige Schnorrer Österreichische Galerien bringen kaum Sammler und Käuferschichten, die auch für ausländische Galerien interessant wären. Auf Messeständen zeigen österreichische Galerien gerne Werke von Künstlern, die bereits von anderen Galerien und Institutionen in anderen Ländern aufgebaut wurden. Was auf den ersten Blick als sympathische, besonders weltoffene Geste gesehen werden könnte, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Etikettenschwindel. Die scheinbare Internationalität österreichischer Galerien ist Ausdruck eines von Provinzialität zerfressenen, lokalen österreichischen Kunstbetriebs. Lieber versucht man risikolos an der Aufbauarbeit internationaler Galerien und Institutionen mitzunaschen als eigenständige Positionen zu etablieren. Aber auch fast jeder kleine Offspace kassiert staatliches Schweigegeld. Und seien es ein paar Hunderter im Jahr. Das reicht, um Künstler zu Bittstellern zu degradieren …

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O.T. (Junge Kaiserin mit Klumpfuß) aus der Serie Kaiserwalzer, Lukas Pusch 2008

In Österreichs Kunstszene wird Stille gelebt. Langeweile gilt als intellektuell. Öffentliche Kritik gibt es nicht. Eigene Meinungen auch nicht. Das nennt man hier Diskurs. Politische Kunst in Österreich thematisiert indigene Völker im brasilianischen Urwald, protestiert gegen Unterdrückung sexueller Minderheiten in Russland oder für die Gleichstellung von Frauen in Indien. Nicht, dass das nicht alles legitim wäre. Aber es tut keinem weh und verkommt damit leicht zur Pose, zu lächerlichem, politisch korrektem Dekor. Selbst Lifestyle- und Wir-sind-Party-Kunst wirken da vergleichsweise revolutionär. Solidarität unter Kollegen und Kolleginnen kennt in der österreichischen Kunstszene keine Grenzen. Vor allem, wenn diese Grenzen weit weg sind, schreit man gerne: Je suis Charlie, Ai WeiWei oder Free Pussy Riot. Wow!

Zensiert eine westliche Institution, vielleicht gar ein Museum, in dem man selbst ausstellen möchte, wird ein Subventionsgeber oder Minister beim Namen genannt, verstummt die Solidarität hingegen sehr schnell. Man beißt nicht die Hand, die einen füttert. Schon gar nicht, wenn die fütternde Hand der Staat ist, dessen klebrige Finger in jeder noch so kleinen Ritze des kulturellen Lebens stecken. Wer wirklich aneckt, hat in Österreich Glück, deshalb nur gemieden zu werden. In der Regel solidarisiert man sich hier mit der Polizei, selbst wenn das Prügelopfer nur eine zufällige Passantin ist. Das ist in der Kunst nicht anders. Es gibt in Österreich auch kein Regulativ des Marktes, weil der Markt durch staatliche Zuwendungen völlig verzerrt ist. Daher ist die Meinung der verschiedenen Kulturbürokraten wichtiger als jene potenzieller privater Käufer. Es ist in Österreich kein Problem, wenn die Direktorin eines Museums überproportional häufig jene Künstler und Künstlerinnen ausstellt, deren Werke im Eigentum der familiären Sammlung sind oder von der Galerie der eigenen Schwester vertreten werden. So etwas fällt in Österreich unter „internationale Beziehungen“. Der private Sammler und Kunstmäzen wird da viel kritischer beäugt. Kommt dieser in finanzielle Nöte, sind ihm Häme und Kritik der sonst stillen Neider gewiss. Natürlich gibt es auch in Österreich Ausnahmen. Galeristen, die für ihre Künstler eigenes Geld aufwenden, Kuratoren, die hervorragende Ausstellungen zusammenstellen, Kritiker mit eigener Meinung. Künstler, die internationale Reputation erlangen und großartige Arbeiten liefern. Aber es sind wenige und alle Ausnahmen sind Unfälle. Es ist kein Zufall, dass die mit Abstand wichtigste Kunstströmung nach 1945 in Österreich, der Wiener Aktionismus, nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern auch strafrechtlich und medial verfolgt wurde.

Das System Österreich ist nicht reformierbar. Alle staatlichen Subventionen streichen! Die Kunstakademien zusperren, abreißen und neu aufbauen. Boxen lernen. Watschen verteilen. Feindschaft und Verachtung leben. Unberechenbarkeit zum Programm erheben. Kunst machen. Kunst, nicht gefördert vom Bundeskanzleramt. Nicht gefördert von der Kultursektion des BMEIA. Nicht gefördert von der Stadt Wien. Nicht gefördert vom Land Niederösterreich, vom Land Burgenland, vom Land Oberösterreich, vom Land Salzburg, vom Land Steiermark, vom Land Kärnten, vom Land Tirol und vom Land Voralberg. Nicht gefördert von KÖR. Nicht gefördert von Departure. Nicht gefördert von der Kulturkommission  des 1. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 2. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 3. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 4. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 5. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 6. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 7. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 8. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 9. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 10. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 11. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 12. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 13. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 14. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 15. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 16. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 17. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 18. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 19. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 20. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 21. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Kulturkommission des 22. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert vom 23. Wiener Gemeindebezirks. Nicht gefördert von der Arbeiterkammer. Nicht gefördert von der Wirtschaftskammer. Nicht gefördert von BasisKulturWien. Nicht gefördert von Shift. Nicht gefördert von den Kulturämtern der Städte St. Pölten, Eisenstadt, Linz, Graz, Klagenfurt, Salzburg, Innsbruck oder Bregenz. Nicht gefördert und nicht angekauft durch die Universität für angewandte Kunst, die Akademie der bildenden Künste, die Kunstuni Linz oder das Mozarteum in Salzburg. Nicht gefördert von der Hochschülerschaft der Universität für angewandte Kunst. Nicht gefördert von der Hochschülerschaft der Akademie der bildenden Künste. Nicht gefördert durch die Kulturabteilungen der Bezirke und Gemeinden der Länder. Nicht angekauft von der Ankaufskommission der Wiener MA7. Nicht angekauft von der Ankaufskommission des Landes Niederösterreich. Nicht angekauft von der Ankaufskommission des Landes Burgenland. Nicht angekauft von der Ankaufskommission des Landes Oberösterreich. Nicht angekauft von der Ankaufskommission des Landes Steiermark. Nicht angekauft von der Ankaufskommission des Landes Kärnten. Nicht angekauft von der Ankaufskommission des Landes Salzburg. Nicht angekauft von der Ankaufskommission des Landes Tirol. Nicht angekauft von der Ankaufskommission des Landes Vorarlberg. Nicht gefördert durch die Kulturkommission der EU.

Das ist der Antist.
Frei.
Wer die Kunst liebt, muss den Staat hassen.