Flora Sibirica

von Paula Böttcher

Mitte der 90iger Jahre musste der Künstler Lukas Pusch Österreich verlassen. Zuvor hatte ihm das Bundesministerium für Unterricht und Kunst in einem juristischen Gutachten schriftlich mitgeteilt, dass er „ein zynisch plakativer Provokateur gegen Freiheit und Toleranz“ sei und damit „sämtlichen Förderungsrichtlinien Österreichs widersprechen“ würde. Sein „Verbrechen“ war eine Arbeit gegen den aufkeimenden Rechtsradikalismus und die damit verbundenen verschärften Asylgesetze.

O.T. (Pinius Sylvestris) aus der Serie Flora Sibirica, Öl auf Leinwand, 140x200cm, 2016, Privatbesitz, Foto: Alek Kawka

O.T. (Pinius Sylvestris) aus der Serie Flora Sibirica, Öl auf Leinwand, 140x200cm, 2016, Privatbesitz, Foto: Alek Kawka

Dies bedeutete eine völlige Isolierung des jungen Künstlers im vollsubventionierten österreichischen Kunst- und Kulturbetrieb. Die Isolierung ging so weit, dass Freunden des Künstlers, mit Verweis auf angebliche Ähnlichkeiten zu Lukas Puschs Werken, mögliche Gelder verwehrt wurden. An seinem Abschiedsabend veröffentlichte Lukas Pusch sein Buch Kunst und Politik und verkündete, Landschaftsmaler in Dresden zu werden. In Dresden angekommen, begann der Künstler, mit Feldstaffelei und reduzierter Farbpalette, romantische Elbmotive auf kleinen Pappen zu malen. Diese Arbeiten Lukas Puschs waren mehr als Tafelbilder. Sie waren ein radikales Statement für die Freiheit der Kunst und eine scharfe Kritik an einem reaktionären Kunstbetrieb samt seiner handzahmen Wiener Mainstream-Avantgarde. Sie waren die Bereitschaft für die Freiheit der Kunst, die eigene Isolation noch einmal auf die Spitze zu treiben. Lieber kitschige Landschaften malen denn als ein staatlich subventionierter Auftragskünstler zu enden!

O.T. (Sibirische Aprikose) aus der Serie Flora Sibirica, Öl auf Holz, 97x58 cm, 2016, Foto: Alek Kawka

O.T. (Sibirische Aprikose) aus der Serie Flora Sibirica, Öl auf Holz, 97×58 cm, 2016, Foto: Alek Kawka

Mit dieser Geste stellte sich Lukas Pusch in die Bildtradition einer politisch verfolgten Avantgarde und Moderne – wie beispielsweise Gustave Courbets im Gefängnis gemalte Obststillleben oder Isaac Levitans Gemälde Vladimirka. Es handelt sich um Arbeiten, deren vordergründig harmlose Motive eine enorme politische und gesellschaftliche Sprengkraft bergen. Gleichzeitig sind sie, ähnlich Gerhard Richters auf dem Höhepunkt der 68er-Bewegung gemalten Landschaften, ein Statement für die Kunst und gegen deren politische Instrumentalisierung und Überfrachtung. Mit der Serie Flora Sibirica greift Lukas Pusch diese Tradition wieder auf. Die vierbändige Flora Sibirica wurde 1747 vom deutschen Forscher Johann Georg Gmelin publiziert. Die Studien zu dieser ersten botanischen Erfassung Sibiriens entstanden auf der 2. Kamtschatka-Expedition, welche 10 Jahre dauerte  und bei der Gmelin zu Fuß von St. Petersburg bis Kamtschatka und zurück marschierte. Diese Expedition, an der insgesamt etwa 3.000 Personen beteiligt waren kostete damals rund ein Sechstel des jährlichen russischen Staatsbudgets und zählt zu einem der größten Expeditionsvorhaben der Geschichte.

O.T. (Dahurische Lärche) aus der Serie Flora Sibirica, Öl auf Leinwand, 130x180cm, 2016, Privatsammlung, Foto: Alek Kawka

O.T. (Dahurische Lärche) aus der Serie Flora Sibirica, Öl auf Leinwand, 130x180cm, 2016, Privatsammlung, Foto: Alek Kawka

Erste Arbeiten zu Lukas Puschs Zyklus Flora Sibirica entstanden bei seinen zahlreichen Reisen und Aufenthalten in Sibirien. Lukas Pusch ist aber kein Botaniker. Ihm geht es bei seinen expressiven Bildern um keine wissenschaftliche Erfassung der Pflanzenwelt. Lukas Puschs Flora Sibirica versteht sich als Malerei und zugleich als Geste über die Malerei hinaus. Sie verweist auf Jahrhunderte eines regen Austausches und einer produktiven Zusammenarbeit zwischen Ost und West. Sie ist ein Statement gegen einen neuen Kalten Krieg. Sie erinnert verschüttete und vergessene Traditionen, in denen Sibirien nicht nur für Gulag und Unterdrückung, sondern auch für Freiheit, Entdeckung und Abenteuer stand. Damals, als Sibirien als ein anderes Amerika galt.